Island
Íslensk matargerð – Kulinarische Vielfalt im rauen Norden
Schwarze Strände, bizarre Felssäulen, blubbernde Schlammtöpfe, dampfende Fumarolen und endlose, mit Moos überwucherte Lavafelder – die Landschaften Islands sind so kontrastreich und atemberaubend schön wie kaum irgendwo auf der Welt. Trotzdem ist die Insel aus Feuer und Eis vom Massentourismus bislang (noch) verschont geblieben, weshalb ihre Besucher sich an der beinahe unberührten Natur, die sich in scheinbar ständigem Wandel befindet, erfreuen können…
Hallo! Mein Name ist Lukas Scherrer und ich freue mich sehr, auf myfoodprints.net als Gastautor einen kulinarischen Reisebericht zu verfassen. Ich kenne den Blogchef und Küchenvirtuosen Marco bereits seit meiner Oberstufenschulzeit und durfte mich schon einige Male an Köstlichkeiten laben, die seinen Töpfen und Pfannen entsprungen sind. Dabei schätze ich seine Kreativität sowie seine Vorliebe für Gewürze, deren Kombinationsmöglichkeiten er auch gerne mal auf die Spitze treibt. Ich amüsiere mich heute noch prächtig, wenn Marco mir seine neuesten Rezepte und Gewürzherstellprozesse erläutert und dabei beim Erzählen zur Höchstform aufläuft. Eben ein Koch mit echter Leidenschaft im Blut…
Doch wenden wir uns nun dem eigentlichen Thema dieses Berichts zu: Der vielfältigen Welt der isländischen Esskultur. Es ist nun rund 4 Jahre her, seit ich mit meiner Partnerin diese faszinierende Insel im Nordatlantik bereisen durfte. Doch vergessen könnte ich unseren dreiwöchigen Trip bestimmt nicht. Neben den schlicht unglaublichen Naturschauspielen und den zwar skurrilen aber auch liebenswerten Menschen, die wir kennenlernten, hinterliess auch die isländische Küche ihre bleibende Erinnerung. Und dies nicht immer nur im positiven Sinne. Denn auch wenn die Isländer einige Spezialitäten ihr Eigen nennen, so sind besonders die Essgewohnheiten ausserhalb der Hauptstadt Reykjavík stark an den grossen Nachbar USA im Westen angelehnt. Hamburger, Pizza, Chicken Nuggets & Co. schmücken die Speisekarten in den Restaurants, die man auf den langen Landstrassenfahrten hin und wieder antrifft. Auch wir mussten uns auf unserer Rundreise auf der Ringstrasse 1 erst einige Tage lang von teilweise geschmacklich recht grenzwertigem Junkfood ernähren, ehe wir mit typisch isländischer Kost in Kontakt kamen.
Dieser erste Kontakt kam im kleinen Ort Flúðir zu Stande. Flúðir ist vor allem durch seine Pilzzucht bekannt, die in Treibhäusern, welche mit reiner Geothermalwärme beheizt werden, betrieben wird. In einem kleinen Restaurant genossen wir dort wunderbar zarte Lammracks an einer Balsamicoreduktion. Die Schafzucht bildet heute zusammen mit der Pferdezucht einen grossen Teil der isländischen Landwirtschaft, für die rund 20% der fruchtbaren Flächen aufgewendet wird. Die Schafe bewegen sich den gesamten Sommer hindurch frei auf der Insel und werden erst im Herbst in grossen Sammelaktionen zusammengetrieben und aussortiert. Das Fleisch des Islandschafs gilt daher als besonders schmackhaft, was ich an dieser Stelle definitiv bestätigen kann. Ich habe selten ein derart perfektes Stück Lammfleisch gegessen.
Direkt am nächsten Tag machte ich im hiesigen Supermarkt eine Entdeckung. In Kassennähe erspähte ich ein Regal mit kleinen Tütchen, gefüllt mit gelbweisslichen und irgendwie kristallin anmutenden Fetzen. Der Inhalt erwies sich als Hardfiskur, getrockneter Schellfisch, der in Island als kleiner Snack beliebt ist. Während die Isländer die proteinreichen Fischchen gerne noch mit einer Schicht Butter bestreichen, genoss ich mein Tütchen Trockenfisch während den langen Autofahrten ohne dergleichen und war hellauf begeistert. Ein durchaus leckerer Snack, auch wenn der Verzehr des scharfkantigen Snacks auf Dauer etwas schmerzhaft für ungeübte Münder ist. Beim Trocknungsprozess von Hardfiskur schrumpft 1 Kilo Fisch auf gerade mal 150 Gramm, weshalb die Speise vergleichsweise teuer ist. Die Fischtrocknung ist auf Island weit verbreitet und es gibt viele kleine Familienbetriebe, die ihre eigenen Geheimnisse zur Herstellung hüten. Neben Schellfisch werden auch Kabeljau, Heilbutt oder Seewolf zu diesem Zweck verwendet.
Eine weitaus bizarrere Art der Konservierung von Fisch erfuhren wir bei einem Besuch einer traditionellen Fischtrocknerei in der Nähe von Suðureyri, einem kleinen Ort der Westfjorde. Dort hingen in einer der alten Trocknungshütten Stücke von gelblich-braunem Fleisch von der Decke. Bereits von Weitem stieg uns der beissende Gestank nach Ammoniak und Urin in die Nase, weshalb die Besichtigung nun auch von Übelkeit begleitet wurde. Die eigenartige, isländische Spezialität, die dort zubereitet wurde, nennt sich Hákarl und ist nichts anderes als das fermentierte, also verrottete Fleisch des Grönlandhais. Für den Menschen aufgrund der enthaltenen hohen Mengen Harnsäure zunächst ungeniessbar, wird durch das Vergraben in Kiesgruben oder durch Lagern in Holzkisten mit anschliessender Trocknung, das Fleisch des Hais verzehrbar. Dabei werden Ammoniak und Harnstoffe ausgesondert, deren Geruch Leute mit zarten Näschen echt umhauen können! Der Geschmack des Fleisches wird trotz seines Gestanks als recht angenehm, etwa nach dem von altem und süssem Käse, beschrieben. Die Würfel des geschälten Fleisches werden vorwiegend mit dem isländischen Kartoffel- und Kümmelschnaps Brennivín, auch liebevoll svarti dauði, also Schwarzer Tod genannt, gegessen. Uns genügten allerdings die erhaltenen Informationen völlig und verzichteten dankend auf den „Genuss“ dieser isländischen Delikatessen.
Von stinkenden, verrotteten Fischen zu etwas süsseren Gelüsten: der isländischen Süssspeise Skyr. Diese genossen wir das erste Mal in einem Restaurant eines Hotels auf der Ringstrasse 1 zwischen dem Skaftafell-Nationalpark und dem Hafenstädtchen Höfn. Skyr ist eine joghurtähnliche Crème, die mit verschiedenen Früchten angereichert wird. Neben der Süsse ist beim Genuss auch ein, durch die Bakterienkulturen bedingter säuerlicher Geschmack gegenwärtig, der besonders bei Skyr-Sorten aus Supermärkten hervortritt. Deshalb bevorzugte ich auch meist den selbstgemachten Skyr in Restaurants, welcher stets ein Hochgenuss war.
Auch im Sommer wird die Insel von starken Regenfällen und Winden heimgesucht und die Temperaturen klettern kaum einmal über 18°C. Doch glücklicherweise serviert man in beinahe jedem Restaurant einen grossen Topf mit frischer Suppe, und die gehört defintiv zu den Highlights eines jeden Island-Trips. Oft anzutreffen und einfach perfekt für kalte Regentage ist die Lammsuppe, die wir im hübschen Husavík nach unserer Walbeobachtungstour sowie auf unserem Trip auf die Insel Grímsey auf dem nördlichen Polarkreis, vorgesetzt bekamen. Oft mit Lauch, Karotten, Zwiebeln und Weisskohl angereichert, sorgt besonders das schmackhafte Lamm für eine tolle Würze und Herzhaftigkeit, so dass man seinen Teller gerne noch einmal füllen lässt. Natürlich trifft man unterwegs auch andere Suppenvariationen an. In Höfn, einer kleinen Hafenstadt, die berühmt für ihren Hummerfang ist, nahmen wir beispielsweise eine fantastische Hummersuppe zu uns, deren Geschmackserlebnis mich wahrlich umhaute. Auch Fisch und andere Meeresfrüchte, sowie verschiedene Gemüsesorten werden auf Island gerne zu schmackhaften Suppen verarbeitet.
Ein weitere isländische Spezialität verspiesen wir im kleinen Ort Skútustaðahreppur am malerisch schönen See Mývatn. Im dortigen Restaurant entdeckten wir auf der Speisekarte Rúgbrauð, was grundsätzlich normales Roggenbrot ist. Jedoch wird dieses nicht im Backofen gebacken, sondern in einem Tongefäss mittels natürlicher Geothermalwärme gedünstet. Das leicht süssliche Brot ist feucht und ziemlich reichhaltig, ähnlich dem uns bekannten Pumpernickel. Dazu „genossen“ wir einen Räucherlachs, der allerdings so stark geräuchert war, dass er seinen Eigengeschmack und denjenigen des Brotes fast völlig überdeckte und sich unsere Münder nach dem Verzehr wie zwei volle Aschenbecher anfühlten. Eigentlich schade, denn das Brot war wirklich lecker.
Nach über zweieinhalb Wochen unterwegs in den kargen Weiten dieses faszinierenden Landes, verbrachten wir die letzten Tage unserer Reise in der Hauptstadt Reykjavík. Im Gegensatz zu den kleinen, in der Landschaft verstreuten Örtchen, legen die Leute in Reykjavík weit mehr Wert auf gesunde Kost. Auch das Angebot an verschiedenen, internationalen Restaurants ist hier weit grösser als auf dem Lande. So frönten wir denn den verschiedensten weltlichen Gelüsten und liessen es uns bei Sushi, Tortillas und scharfen, indischen Currys gut gehen. Trotzdem wagten wir uns noch ein letztes Mal an die isländische Esskultur und besuchten eine kleine Tapasbar, die „Tapas Barinn“, in der Vesturgötu 3b. Die Speisekarte dort bot neben vielen bekannten Tapas-Klassikern auch einige Schmankerl aus den isländischen Breitengraden. So orderten wir unter anderem auch geräucherte Papageitaucherbrust an einer Blaubeeren-Brennivín-Sauce. Der Papageitaucher ist eigentlich ein wahnsinnig schönes und drolliges Tier und es würde wohl jedem Kind die Tränen in die Augen treiben, wenn es sehen würde, wie die Isländer täglich Jagd auf Dutzende der süssen Viecher machen. Fakt ist jedoch, dass alleine auf Island rund 6-8 Millionen Papageitaucher leben, die Art als nicht gefährdet gilt und sich rasch vermehrt. Ausserdem schmeckt das Fleisch dieses farbenfrohen Tiers wahrhaft lecker. Das rote und zarte Fleisch hatte ein sanft-rauchiges Aroma, einen angenehmen fischigen Beigeschmack und einen leicht salzigen Abgang. Mit der speziellen aber durchaus leckeren Sauce war dieses Gericht ein wahrer Hochgenuss und ist absolut zu empfehlen. Mit diesem würdigen Abschlussessen ging unsere Zeit auf der magisch schönen Insel auch bereits viel zu schnell wieder zu Ende, doch Pläne für den nächsten Besuch werden bereits geschmiedet.
Wer nun Blut geleckt hat und sich noch tiefer in die teils bizarren Abgründe isländischer Kulinaritäten wagen möchte, der wird auf der rauhen Insel im Norden sicher nicht enttäuscht. Denn die Isländer hüten in ihren Kochbüchern neben den erwähnten Speisen noch viele andere Gerichte, die sich teilweise schon arg an die Grenze des Grauens herantasten. So ist beispeilsweise Svið, das sind schwarzgesengte Schafsköpfe, ein traditionell-isländisches Gericht. Die Köpfe werden bei der Schlachtung abgetrennt und das Fell über offenem Feuer abgesengt. Einzeln verpackt werden die schaurig aussehenden Leckerbissen tiefgekühlt in Supermärkten angeboten. Vor dem Kochen wird die äusserste Schicht der Köpfe abgeschabt. Zurück bleibt ein Aroma wie nach dem Räuchern. Eine weitere, dem schottischen Haggis ähnliche Speise ist Slátur, ein mit Schafsinnereien, Mehl und Haferflocken gefüllter Schafsmagen, der gekocht und entweder noch verpackt oder bereits entleert serviert wird. Als wichtigstes wirtschaftliches Gut haben die Isländer gelernt, ihre Schafe wirklich restlos zu verwerten, so natürlich auch die Hoden der Tiere. Gepresst und in gesäuerter Molke serviert, kommt diese Delikatesse als Hrútspungar auf die örtlichen Tische. Zuweilen werden die Hoden auch in Gelee eingelegt und als Sülze serviert.
Mit diesen kulinarischen Kuriositäten schliesse ich meinen Bericht. Ich hoffe, dem Leser die isländische Küche mit diesen Zeilen etwas näher gebracht oder sogar die Reiselust in ihm geweckt zu haben. Ich bedanke mich bei Blog-Chefkoch Marco für die Möglichkeit eines Gastautorenauftritts auf myfoodprints.net und hoffe, eines Tages vielleicht aus einem anderen Teil der Welt einen ähnlichen Bericht verfassen zu dürfen. In diesem Sinne: Verði bér að góðu (Guten Appetit) und bis zum nächsten Mal!
dein Senf dazu…